Nachruf auf Muhammad Ali, den grössten Boxer aller Zeiten


Ali ging als Sieger

Muhammad Ali starb in der Nacht auf Samstag 74-jährig im Kreise seiner Familie. Die Spuren, die er hinterlässt, sind unauslöschlich und führen weit über den Sport hinaus.
Dichter haben über ihn geschrieben, Denker über ihn philosophiert, Fans haben ihn vergöttert, Feinde verflucht. Cassius Clay, der später Muhammad Ali wurde, ist tot. Die Spuren, die er hinterlässt, sind aber unauslöschlich. Er hat seinen Sport verändert. Er hat die Welt verändert.
Ali hat die Reise angetreten, die wir alle mal antreten werden. Er starb mit 74 Jahren – ausgezehrt vom jahrzehntelangen Kampf gegen die Parkinson-Krankheit. Diesen einzigen Gegner, den er nicht austänzeln, nicht überlisten, verhöhnen und verhauen konnte.
Unbeschwerter Poet, dreister Kerl
Schön war er, muskulös, blutjung und selbstbewusst, als er 1964 als Cassius Clay ein sportliches Wunder vollbrachte, indem er den als unbesiegbar geltenden Sonny Liston zu Boden schlug und 22-jährig Weltmeister im Schwergewicht wurde.
Ein Kind noch, ein Grossmaul, das im Ring nicht nur zuschlug, sondern auch tanzte, redete, Faxen machte. Man rieb sich die Augen. Ein unbeschwerter Poet, ein dreister Kerl, der vor seinen Kämpfen Liedchen zum Besten gab, in denen er die Runde ankündigte, in der er siegen werde. Ein wendiger, schlauer Boxer, der seine Gegner wie ein Schmetterling umschwebte, um sie dann wie eine Biene zu stechen.
Mutig war er und rebellisch, als er sich weigerte, für die US Army in den Vietnamkrieg zu ziehen, weil ihn kein Vietcong je «Nigger» genannt habe. Keck war er, als er seinen «Sklavennamen» Clay ablegte, um sich Muhammad Ali zu nennen und sich den radikalen Black Muslims anzuschliessen. Sozialer Sprengstoff zu jener Zeit!
Er wurde im Ring und ausserhalb des Rings verehrt oder gehasst. Ihm wurde wegen der Dienstverweigerung die Boxlizenz entzogen, der Weltmeistertitel aberkannt. All das machte ihn nur noch grösser, unantastbarer, weiser, selbstbewusster.
Wenn er fiel, stand er wieder auf
Die Menschen schauten fasziniert zu. Ali, das Phänomen. Wer wollte an Schlaf denken, wenn die Fernsehanstalten nachts nach New York, Las Vegas oder auf die Philippinen schalteten?
Ali hat legendäre Schlachten geführt: im Dschungel von Afrika oder in der Hölle von Manila. Er hat gewonnen und verloren. «Wir verlieren alle mal im Leben», sagte er nach einem verlorenen Kampf. «Was man tun muss, ist weiterleben, die Verluste überwinden und wieder aufstehen.» Er stand stets wieder auf.
Dreimal wurde er Weltmeister. Zuletzt 1978, beinahe 37 Jahre alt und nur noch eine Parodie seiner besten Tage. Als sein Sieg gegen den um zwölf Jahre jüngeren Leon Spinks ausgerufen wird, hebt jemand Ali vom Stuhl hoch. Er muss gestützt werden. Doch noch einmal macht er seinen Arm frei, sieht zur Kamera, blickt uns, die wir vor dem Fernseher sitzen, direkt in die Augen und grüsst mit einer ganz langsamen Kusshand.
Die Krankheit, die 1984 offiziell wurde, hat ihm vieles genommen, was den Champion einst ausgemacht hatte. Seine Schönheit, seine Schnelligkeit, seinen Witz, seine Stimme, aber nie seine Würde. «Gott zeigt mir damit», sagte Ali dem Sportliteraten David Remnick, als sein Körper ihm die freie Rede noch zuliess, «dass ich nur ein Mann wie jeder andere bin.»
Demütig kämpfte Ali über dreissig Jahre gegen diesen Gegner, der ihm keine Chance liess, dem er aber trotzdem wie ein Sieger gegenübertrat.
Die Welt hält den Atem an
Man sah Ali nur noch selten in der Öffentlichkeit, seine Wirkung blieb immens. So wie an diesem Sommerabend in Atlanta (USA) mitzuerleben, als er für alle überraschend mit einer Fackel in den Händen erschien und die Olympischen Spiele 1996 eröffnete. Ein sichtlich bewegender Moment für ihn und alle anderen. Noch einmal hielt die Welt wegen Ali den Atem an.
Einer seiner letzten Auftritte war 2011 an der Beerdigung seines grossen Rivalen Joe Frazier, gegen den er drei Kämpfe für die Ewigkeit bestritt. Der brutalste, man taufte ihn «Thrilla in Manila», brachte Ali 1975 «so nahe an den Tod wie nie», wie er selber sagte.
Viele Jahre nach dieser Erfahrung im zittrigen Ruhestand wurde er von Remnick gefragt, wie er in Erinnerung bleiben wolle. «Als Schwarzer, der den Titel im Schwergewicht gewonnen hat und Prediger seines Volkes wurde. Einer, der nie herabgesehen hat auf die, die zu ihm aufgesehen haben.» Dann schloss Ali die Augen. «Der Schlaf ist eine Probe des Todes», pflegte er zu sagen. «Eines Tages wacht man auf, und es ist das Jüngste Gericht.»

Publiziert im Sonntagsblick vom 5. Juni 2016 / Patrick Mäder

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