Mit Mike Horn am Äquator


Mike Horn im Dschungel, Gefahren lauern überall.
Mike Horn im Dschungel, Gefahren lauern überall.

Der Mann ohne Grenzen

PADANG (SUMATRA) - Mike Horn wohnt in der beschaulichen und ruhigen Schweiz. In Château- d'Oex im Waadtland. Da entwickelt der 34-jährige Südafrikaner im Kopf die verrücktesten Ideen und Träume, die er dann in der weiten Welt verwirklicht.

Zurzeit stellt er sich seiner bisher grössten Herausforderung. Der Name der Jahrhundert-Expedition ist «Latitude 0°». Seit über 11 Monaten ist der Abenteurer auf dem Breitengrad 0 unterwegs. Er will als erster Mensch die Erde entlang des Äquators umrunden - allein und ohne motorisierte Hilfsmittel. Auf dem Segelboot, dem Kanu, dem Bike oder zu Fuss.

 

Noch fehlen ihm rund 10'000 km bis ins Ziel. Ein Verrückter? Ein Wahnsinniger? SonntagsBlick besuchte den Extremsportler in Sumatra, kurz vor seiner Abreise zur vorletzten Etappe: der Überquerung des Indischen Ozeans. Ein Portrait eines aussergewöhnlichen Menschen.

 

MikeHorn sitzt am Strand von Padang, im Westen der indonesischen Insel Sumatra. Die Sonne brennt. Die Wellen brechen an den grossen Steinen. Wasser klatscht an seinen braungebrannten Körper, dem man die Strapazen von gut 30000 Kilometern voller Abenteuer und Entbehrungen nicht ansieht. Der Weitgereiste ist redselig. Kein Wunder. Denn auf seiner Erdumrundung entlang des Äquators ist er meistens allein. Reden kann er nur mit sich - und von Zeit zu Zeit mit Gott. Wenn er Menschen antrifft, dann sucht er verständlicherweise den Kontakt - bei aller gebotenen Vorsicht!

 

Mike kann sich in vielen Sprachen verständigen, wenn nötig auch mit Zeichen und Gesten. Er ist ein einnehmender Typ. Diese Eigenschaft hat ihm auch schon das Leben gerettet. Beispielsweise auf seiner zweiten Etappe von Brasilien nach Ecuador. Als er im Dschungel von Kolumbien auf Guerilleros stiess, die ihre Gewehre auf ihn richteten. Da behielt er die Nerven und schaffte es irgendwie, dass ihm der Kommandant die Waffe anvertraute. Mike zerlegte diese in alle möglichen Einzelteile und setzte sie mit geschlossenen Augen in Rekordzeit wieder zusammen. Die Gefahr war augenblicklich gebannt und heute kann Mike über diese bedrohliche Situation lachen: «Mehr Probleme machte mir später das Militär, die dachten, ich sei ein Spion der Guerilleros. Sie warfen mich für zwei Tage ins Gefängnis zum Verhör und glaubten meine Geschichte erst, als ich ihnen einen Bericht über mich in einer Schweizer Zeitschrift zeigte.»

 

Die erste Begegnung mit der schrecklichen Sprache der Waffen machte Mike als kleiner Bub. In Johannesburg, wo er aufwuchs, explodierten Bomben. Kommunistische Bomben. Der kleine Mike sah Blut, Zerstörung und Elend. Diese Bilder blieben in seinem Hirn kleben.

Mit 18 Jahren kämpfte er mit der südafrikanischen Armee im angolanischen Bürgerkrieg - gegen den Kommunismus. Er meldete sich für eine Spezialeinheit. Mit der Absicht, seine Familie und sein Vaterland zu verteidigen - immer wieder getrieben von den schrecklichen Bildern von früher. Mit drei anderen Kameraden musste er im Dschungel von Angola feindliche Stellungen aufspüren. Mike kehrte als einziger der Einheit lebend aus der Hölle zurück. Rückblickend meint er: «Ich hatte damals einfach Glück!»

 

Heute redet er nicht mehr gerne darüber. Kriege widern ihn an. Mikes Botschaft ist Frieden. Doch auf seinen Expeditionen wird er ständig mit Kriegen konfrontiert. Nach der Überquerung des Pazifiks wurde er auf der indonesischen Insel Halmahera von bewaffneten Dschihad-Kämpfern am Anlegen gehindert. Dabei hatte er sich so darauf gefreut nach über zwei Monaten auf dem Meer endlich wieder Land zu betreten. Doch dann die Gewehre, die Ernüchterung: «Wenn Zivilisation heisst, dass sich Menschen gegenseitig töten, dann will ich dort lieber nicht hin.»

 

Weiter südlich betrat er das Festland dann doch. Ungesehen, versteckt.

Mikes jüngerer Bruder Martin musste ebenfalls auf der Hut sein. Er gehört zum fünfköpfigen Logistikteam, das an verabredeten Stellen auf Mike wartet und vorallem für den Transport des Segelboots, den Papierkram und die Bestechungsgelder verantwortlich ist. Auch Martin war in diesem Moment in grösster Gefahr.

 

Mike weiss solche Situationen gut einzuschätzen: «Ich begegne vielen gefährlichen Tieren. Giftschlangen, hungrigen Raubkatzen, Insekten. Doch darauf bin ich vorbereitet. Menschen dagegen sind unberechenbarer. Da weisst du meistens nicht, woran du bist. Menschen bedeuten meistens Gefahr. Doch eben diese Menschen kennenzulernen, ihre Lebensweise zu verstehen, ist das Faszinierende an meinen Abenteuern.»

 

1998 bestand Horn bereits eine andere unglaubliche Herausforderung. Der Extremsportler war mit einem Hydrospeed (eine Art Wasserbob) während 171 Tagen unterwegs: von der Quelle bis zur Mündung des Amazonas. Die Beine im Wasser, den Oberkörper auf dem Brett. Als Vorbereitung auf dieses Fluss-Abenteuer ging er in Brasilien in ein Überlebens-Camp, in dem einst die US-Truppen für den Vietnamkrieg trainierten. Diese Erfahrungen waren wichtig. Und sie helfen ihm auch jetzt. Er ist in grossartiger Verfassung. Physisch und psychisch. Was ihn besonders stark macht, ist zudem sein Instinkt. «Die Voraussetzung, um in Extremsituationen richtig entscheiden zu können.»

 

Mike will leben. Trotzdem setzt er sich freiwillig den grössten Gefahren aus. Warum? Sein Antrieb ist seine Rastlosigkeit, seine Verbundenheit mit der Natur, seine Abenteuerlust. Er hat keine politische Gesinnung. Auch wenn eine leise Kritik an der Entwicklung der Lebensweise in der westlichen Gesellschaft in seinen Worten mitschwingt: Er möchte die Menschen animieren, sich der Natur wieder mehr bewusst zu werden. «Schaut euch die Sterne an, die Tiere, die Bäume - geht hinaus. Verbringt nicht zuviel Zeit in der virtuellen Welt der Computer. Das frustriert nur und baut Aggressionen auf. Und es entfernt uns von dem, was wir sind: ein Teil der Natur.»

 

Mike schreit diese Sätze nicht in die Welt hinaus. Dafür nimmt er sich nicht wichtig genug. Er sagt es leise, in einem Gespräch unter vier Augen. Betonen will er aber eine andere Botschaft - eine überraschende: «Was ich hier mache, kann jeder schaffen! Jeder kann seine Grenzen durchbrechen und das Unmögliche möglich machen. Statt zu sagen «Ich kann nicht» muss man sich einfach sagen «Ich kann».»

 

Natürlich weiss Horn, dass kaum ein Mensch dieses Projekt der Erdumrundung nachmachen wird. Er redet im übertragenen Sinn. Meint, dass vieles in unserem Alltag machbar ist, aber wir nicht daran glauben und es darum nicht ausprobieren.

Mike Horn macht Mut. Allen, die ihm zuhören. Und wenn er seine Worte zudem noch in einer exotischen Umgebung zwischen Sonne, Meer, Strand und Dschungel sagt, dann kommt etwas Sehnsucht auf. Sehnsucht, mehr aus dem eigenen Leben zu machen...

 

Mike lächelt. Er hat meine Gedanken erraten. Zufrieden schaut er in die Ferne. Über den endlos scheinenden Indischen Ozean, in Richtung Ostafrika. Das Ziel seiner nächsten und vorletzten Etappe. Einen weiteren Monat in völliger Einsamkeit. Erst bei den Malediven wird er wieder auf Menschen stossen. Davor und danach gibts nur Wasser, Selbstgespräche und die Hoffnung, dass der Monsunregen sich um ein paar Tage verspäten wird. Und es gibt die Angst. Mike: «Es ist immens wichtig, Angst zu haben. Hätte ich keine mehr, würde ich sofort aufhören.» Vier Stunden Schlaf. Zwei am Tag, zwei in der Nacht. Mehr gönnt sich der Ausnahmeathlet nicht. «Wenn ich auf eine gefährliche Situation nicht rechtzeitig und richtig reagieren kann, bin ich verloren.»

 

Verloren? Man kann sich nicht vorstellen, dass dieser Mann sein Ziel nicht erreicht. Seine Zuversicht, und die Leichtigkeit, mit der er von den Abenteuern spricht, lassen den Gedanken nicht zu, dass Mike Horn im Oktober Gabon nicht erreichen wird. Nein! Er wird dort sein. Um unendlich viele Erfahrungen reicher. Er wird seiner Frau Cathy und seinen Kindern Jessica (4) und Annika (6) in die Arme fallen. Glücklich, ausgelaugt, etlichen Toden entronnen. Und dann wird er etwas geschafft haben, das mindestens so hoch einzuschätzen ist wie die Erdumrundung des Ballonfahrers Bertrand Piccard vor einem Jahr. Mike lächelt, nickt und wischt sich ein paar Schweisstropfen von der Stirn. Ja, so will er sich das auch vorstellen.


Erschienen im SonntagsBlick vom 2. Februar 2000 / Autor: Patrick Mäder

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