Interview mit Wladimir Klitschko im TRainingscamp 2012 in Österreich

Wladimir Klitschko macht sich Sorgen um das politische Leben seines Bruders

«Vitali kann eine Kugel in den Kopf bekommen»

Am 7. Juli 2012 kämpft Wladimir Klitschko (36) im Stade de Suisse gegen US-Boxer Tony Thompson (40). SonntagsBlick besuchte den ukrainischen Weltmeister in seinem Vorbereitungscamp in Österreich.
Sie befinden sich zum 61. Mal in der Vorbereitung auf einen Profi-Kampf. Fällt das langsam schwer?
Ich finde, dass es körperlich immer leichter und besser wird, je älter ich werde.
Und mental?
Ich denke nicht über mein Alter nach. Doch dann kommen die Sparringspartner, die sagen, sie seien 20, und Journalisten fragen, wie lange ich noch boxen wolle, und plötzlich denke ich doch darüber nach.
Wie lange wollen Sie noch boxen?
Warum werde ich das gefragt? Sind die Fans gelangweilt von mir? Ich fühle mich in Form, bin motiviert, werde immer besser, es macht Spass. Warum soll ich aufhören? Mein Song ist noch nicht zu Ende gesungen.
Was werden Sie mitnehmen in die Zeit nach dem Sport?
Was ich im Sport lerne, kann ich auf keiner Universität der Welt lernen. Ich treffe interessante Menschen, die meine Lehrer sind. Wie der Dalai Lama, Bill Clinton oder Angela Merkel. Wenn man sich mit denen fünf Minuten unterhält, ist das wie zwei Jahre zu leben und Erfahrungen zu sammeln.
Werden Sie Ihrem Bruder Vitali in die Politik folgen?
Platini hat gesagt, Sport habe nichts mit Politik zu tun. Das stimmt nicht. Sport, Wirtschaft und Politik hängen eng zusammen. Ich finde es super, dass die EM in der Ukraine stattfindet und so auch der Fall Timoschenko, die im Gefängnis sitzt, überall zum Thema wird. Wäre die EM nicht, wüsste jetzt nicht die ganze Welt Bescheid, dass sie zu Unrecht eingesperrt ist und dies ein schlechtes Beispiel für die Menschenrechte ist.
Das war keine Antwort auf die Frage, klang aber doch schon sehr nach einem Politiker.
Ich finde es toll, dass mein Bruder sich in der Politik engagiert. Er ist Vorsitzender seiner eigenen Partei, reist durch die Ukraine, macht Wahlkampf und wird hoffentlich Ende des Jahres ins Parlament einziehen. Ich aber bin parteilos, kein Politiker und werde auch nie einer sein.
Es ist nicht ungefährlich, sich wie Ihr Bruder gegen die Korruption in der Ukraine zu stellen. Haben Sie nie Angst um ihn?
Ich bin besorgt. Im Ring kann er ein blaues Auge abkriegen. In der Politik eine Kugel in den Kopf bekommen oder mit Dioxin vergiftet werden.
Haben Sie auch Angst um sich?
Im Ring sicher nicht. In der Zeit vor dem Kampf gibt es so etwas wie eine kontrollierte Angst. Ein Cocktail aus Angst, Sorge und Nervosität.
Angst wovor?
Vor einer Niederlage, einem Titelverlust, einer Verletzung. Während des Kampfes ist alles anders. Da bin ich kaltblütig, bei klarem Verstand, habe einen Puls von fünfzig und versuche, professionell meinen Job zu erledigen.
Noch sind Sie in Kitzbühel mitten in der Vorbereitung und verpassen so die Fussball-EM in Ihrer Heimat.
Das ist jetzt halt so. Jede Ablenkung in der Vorbereitung auf den Kampf wäre schlecht.
Schauen Sie die Spiele wenigstens am TV an?
Ja, mit meinem Team in der einsamen Hütte oben am Berg, wo wir wohnen.
Wer packts?
Ich wünsche mir das Finale Ukraine gegen Deutschland.
Eine sehr diplomatische Antwort. Wer gewinnt?
Mein Bruder Vitali und ich sind Ukrainer, fühlen uns aber in Deutschland als Teil der Gesellschaft. Wir sind adoptiert worden. Aber im Fussball muss man Farbe bekennen: Die Ukraine gewinnt.
Wie erklären Sie sich Ihre Beliebtheit in Deutschland?
Vielleicht weil wir auch offen und freundlich auf die Menschen zugehen. Aber die Sympathien sind schon aussergewöhnlich. Am Zoll passiert mir oft, dass ich fragend angeschaut werde, wenn ich den ukrainischen Pass zeige, da die Zöllner glauben, wir seien Deutsche.
Mit Sympathie hatte Ihre Begegnung mit Box-Rüpel David Haye vor einem Jahr wohl wenig zu tun. Das war purer Hass.
Ich habe keine Hassgefühle. Hass macht blind. Wenn ich aufgebracht bin, versuche ich, die Gefühle zu kanalisieren und in Energie umzuwandeln. Auf Provokationen lasse ich mich nicht ein, sondern antworte mit Fäusten im Ring.
Aber als Sie von Chisora im Ring angespuckt wurden vor dem Kampf Ihres Bruders, haben Sie nicht mit Fäusten geantwortet. Sie blieben äusserlich ruhig. Was ging da aber in Ihrem Kopf vor?
Nie zuvor war ich angespuckt worden. Mein Ego war nach diesem Vorfall drei Tage lang krank. Vom Gefühl her hätte ich ihm ein paar reinhauen sollen. Hätte ich das getan, hätte es einen Skandal gegeben, Aufregung und vielleicht Panik in der Halle. Der Kampf hätte nicht stattgefunden. Es war Vitalis Abend, nicht meiner. Also musste ich auf die Zähne beissen, was mir sehr schwer fiel.
Stört es Sie, dass diese zwei Rüpel Mitte Juli gegeneinander boxen?
David Haye ist mir total egal. Dass aber Chisora, der sich aufführte wie ein Neandertaler, dem dafür die Boxlizenz entzogen wurde, so kurz danach wieder in den Ring steigen darf, mit einer luxemburgischen Lizenz, das wirft kein gutes Licht auf diesen Sport. Ich finds richtig, dass man den Luxemburgischen Verband aus der Europäischen Boxunion ausgeschlossen hat. Ein solcher Kampf darf allein schon wegen der Vorbildfunktion gegenüber der Jugend, die wir Spitzensportler haben, unter keinen Umständen stattfinden.
Diese Vorfälle erscheinen wie Boten des Untergangs des Boxsports.
So sehe ich das nicht. Aber es ist schade, weil viele grosse Boxer am Image unseres Sports gearbeitet haben: Joe Louis, Muhammad Ali, Larry Holmes, Rocky Marciano. Dann kommt ein Chisora, setzt sich noch die Kappe mit einem Bild von Ali auf und macht alles mit einem Auftritt kaputt. Ich bin kein Arzt, würde aber sagen, Chisora ist psychisch krank.
Thompson, Ihr Gegner am 7. Juli in Bern, ist ein lustiger Kerl. Ein Anti-Chisora, mit dem Sie sich gut verstehen. Macht das die Sache für Sie leichter oder schwieriger?
Tony ist vierzig, siebenfacher Vater, erfahren und weiss, was er will. Er wird es mir bestimmt nicht einfach machen. Er kann jeden schlagen.
Jeden?
Auch mich. Wenn ich es ihm erlaube, was ich natürlich nicht tun werde. Bill Clinton lehrte mich, wie man sich auf ein Duell vorbereitet. Dass man genau wissen sollte, wer dir gegenüber steht und auf alles eine Antwort bereit haben muss.
Sie haben auch von Ihrem Bruder gelernt. Gibts auch etwas, das Vitali von Ihnen abgeschaut hat?
Wir haben stets voneinander gelernt. Wenn er besser geworden ist, bin ich besser geworden, und umgekehrt.
Welcher Klitschko ist besser?
Vitali natürlich. Er ist besser und sieht auch besser aus. Er hat eine Frau und Familie, ich nicht.
Sie kokettieren. Was ist mit Schach?
Auch das hat er mir beigebracht. Inzwischen sind wir ebenbürtig. Aber was ich definitiv besser kann als er, ist Golf. Da hat Vitali keine Ahnung. Er trifft nicht mal den Ball. Offiziell habe ich Handicap 36, inoffiziell etwa 18. Ich hätte gern mit Tiger Woods in seinen besten Zeiten als Golfer getauscht.
Mit wem würden Sie sonst noch gerne tauschen?
Wenn ich die Rolling Stones sehe, wie sie mit fast 70 noch abrocken, dann denke ich, ein Leben lang so erfolgreich in einer Band zu spielen, wäre auch cool gewesen.
Die Stones sehen ja auch jetzt noch sehr gut aus.
Ja ja, vor allem Keith Richards. Aber Spass beiseite: Er zieht sein Ding durch und das ist bemerkenswert.
Wie wird Thompson aussehen, wenn Sie am 7. Juli in Bern Ihr Ding durchgezogen haben?
Ich kann nur versprechen, dass ich alles tun werde, um ihn ohne WM-Gürtel nach Hause zu schicken.

Erschienen im Sonntagsblick vom 10. Juni 2012  / Patrick Mäder

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